Der fröhliche Tausch

Beat Tanner  ph.d. (USA)

„Wie nun durch die Sünde des Einen die Verdammnis über alle Menschen gekommen ist, so ist auch durch die Gerechtigkeit des Einen für alle Menschen die Rechtfertigung gekommen, die zum Leben führt.“

Römer 5,18

„Wie können wir in unserer Familie den Glauben leben?“ – Diese Frage eines Familienvaters beschäftigt mich. Gibt es dafür eine Antwort? Denn objektive betrachtet unterscheidet sich die Scheidungsrate sogenannter christlicher Ehe nicht von Scheidungen ausserhalb christlicher Gemeinden. Auch Probleme in der Erziehung scheinen die gleichen zu sein, wie anderswo eben auch.

 

Namhafte Forscher, Kinderärzte und Psychologen weisen darauf hin, dass Perfektionismus und Selbst-Rechtfertigung, oft auch Abwehr genannt, Beziehungen zerstören. Dies scheint ein Muster des menschlichen Verhalten zu sein, welches nicht auszutilgen ist: Wir wollen auf keinen Fall „blossgestellt“ werden. Unsere Angst zu versagen, unseren eigenen Anforderungen und denjenigen unser Mitmenschen nicht zu genügen, Treibt uns dazu, unsere Unzulänglichkeiten mit Beschönigungen, Erklärungen, Rechtfertigungen und sich verteidigen zu verdecken. Wer will schon schlecht da stehen und blossgestellt sein?

 

Drei Fragen können uns helfen, das schützen und verdecken „unserer Blösse“ mit Selbstrechtfertigungen und Perfektionismus zu verstehen:

  • Was unternehme ich um meinen Anforderungen und Ansprüchen zu genügen? Zum Beispiel mit meiner Rechthaberei?
  • Was unternehme ich, um den Anforderungen meiner Mitmenschen zu genügen? Zum Beispiel mit „nachgeben“ oder mich „durchsetzen“?
  • Was unternehme ich, dass Menschen und Gott meine Wünsche und Anforderungen erfüllen? Zum Beispiel „wütend“ werden und sich als „Opfer fühlen?

Solche Verhaltensmuster haben bereits Adam und Eva angewendet. Sie hatten Angst und schämten sich voreinander und vor Gott. In Ihrer Not bedeckten sie sich notdürftig mit Feigenblättern. Niemand sollte Adam und Eva „blossgestellt“ in ihrer Schwachheit und in ihrem Versagen sehen. Nein, Adam bedeckt sich mit dem Feigenblatt der Anklage, Rechtfertigung und Erklärungen gegenüber Gott: Die Frau, welche du mir gegeben hast, … . Adam bedeckte seine „Blösse“ perfekt, indem er die Schuld auf Gott und Eva abschiebt. Doppelt genäht hält besser: Beide, seine Frau Eva und Gott waren Schuld an der Misere. Auf keinen Fall aber Adam selber!

 

Nun, dieses Verhaltensmuster, eigene Schuld, Versagen und Unzulänglichkeiten vor den Augen anderer rechtfertigen und damit zu verdecken, zerstört Beziehungen in Ehe und Familie. So die Erkenntnis vieler auch säkularer Forscher und Therapeuten. Solche Feigenblätter, welche unsere Fehler und Blössen vor den Augen anderer verdecken und uns so schützen sollen, kennen wir alle. Was wesentlich ist zu wissen: Die Feigenblätter der Selbstrechtfertigung zerstören unsere Beziehungen … .

 

Wie können wir denn den Glauben leben in der Ehe und Familie? – Die Antwortet lautet, wenn wir keine Feigenblätter der Selbstrechtfertigung mehr benutzen müssen um uns vor uns selber und vor andern zu verdecken. Natürlich folgt an dieser Stelle die nächste Frage: „Was hat das denn mit dem Glauben zu tun?“ - Nun, die Geschichte Gottes mit Adam und den Menschen geht weiter. Gott bietet einen „fröhlichen Tausch“ an. Hören wir dazu den Apostel Paulus im zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth: "Denn er hat den, [Jesus Christus] der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt." 2. Korinther 5,21

 

Mit einfacheren Wort erklärt, sagt Paulus im Brief an die Korinther folgendes: Der Glaube ist ein fröhlicher Tausch: Unsere Selbstgerechtigkeit tauschen wir mit der geschenkten Gerechtigkeit Gottes. Gott nimmt unsere Schuld und vergibt uns diese in Jesus Christus. Er hat sie an meiner Stelle mit seinem Leben bezahlt. Als Tausch schenkt er mit Seine Gerechtigkeit als Kleid, um unsere Blösse zu bedecken. Die Gerechtigkeit Gottes bedeckt mich vor meinen eigenen und anderen kritischen Augen. Mit diesem Mantel der Gerechtigkeit bedeckt und von Gott als gerecht bezeichnet, sind wir Menschen nicht mehr „bloss gestellt“. Wir brauchen die bis jetzt benutzten Feigenblätter der Selbstrechtfertigung nicht mehr, weil wir eine bessere Bedeckung erhalten haben. So haben wir Freiraum, mehr zu lieben und weniger darauf bedacht zu sein, keine Blösse mehr zeigen zu müssen.

 

Dieser Glaube, es ist der Kern des Christentums, besteht aus der Vergebung und die Bedeckung unserer Blösse der Angst und Scham. So vergeben und bekleidet mit der Gerechtigkeit Gottes werden Beziehungen wieder hergestellt und gestärkt. Unser Verhalten ist dann von der Liebe und nicht von Perfektionismus und Selbstrechtfertigungen geprägt. Graf Nicolaus von Zinzendorf hat zu der Rechtfertigungs- lehre, dem Kern des christlichen Glaubens, 1739 ein eindrückliches Lied geschrieben. Die ersten zwei Strophen dieses Liedes habe ich unten aufgeschrieben. Sie beschreiben die Bedeckung der Christen mit Gottes Gerechtigkeit, der darum keine Selbstrechtfertigungen also Feigenblätter mehr, bedarf:

 

Christi Blut und Gerechtigkeit, das ist mein Schmuck und Ehrenkleid.

Damit will ich vor Gott bestehn, wenn ich zum Himmel werd eingehn.

 Drum soll auch dieses Blut allein mein Trost und meine Hoffnung sein.

Ich bau im Leben und im Tod allein auf Jesu Wunden rot.

 

Wie könnte dieser „fröhlicher Tausch“ denn im Ehe und Familien-Alltag aussehen? Dazu mag der Dreiklang von erstens dem Wissen um den fröhlichen Tausch Gottes, zweitens sich dessen Erinnern und dann als drittens dem Anwenden, helfen.

 

Letzthin habe ich im Treibhaus Setzlinge beim Wässern übersehen, welche dringendst Wasser benötigt haben. Ich war in Gedanken beim Schreiben dieser Zeilen beschäftigt, und darum mit dem Kopf eben nicht dort, wo er zu dieser Zeit sein sollte: Nämlich beim Tränken. Meine Frau hat dieses Malheur sehr bald erkannt. Zum Glück. Sonst wären die Setzlinge ganz verdorrt …. Halt! Keine Angst vor der „Blösse“ der nicht erfüllten Anforderung. Erinnere dich an deine geschenkte Rechtfertigung. So brauche ich keine feigenblätterartige Rechtfertigungen mehr um meiner lieben Frau zu erklären, warum ich dies vergessen habe. Sondern ich übernehme die Verantwortung und stehe zu meiner Nachlässigkeit und bekenne meine Schuld: Denn ich habe die Gedanken nicht dorthin gelenkt, wo sie sein sollten. Der fröhliche Tausch hat sich bewährt.

 

Der Ausdruck ein „fröhlicher Tausch“ stammt von Martin Luther (1484 – 1546). Martin Luther schreibt in seinem Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ (1520) im 12. Abschnitt: "Hier hebt nun der fröhliche Tausch und Wettstreit an: Christus ist ja Gott und Mensch, der noch nie gesündigt hat, und seine Rechtschaffenheit [Gerechtigkeit] ist unüberwindlich, ewig und allmächtig. Wenn nun er die Sünden der gläubigen Seele durch ihren Brautring (d.h. durch ihren Glauben) sich selbst zu eigen macht und geradeso tut, als hätte er sie getan, so müssen die Sünden in ihm verschlungen und ersäuft werden, denn seine unüberwindliche Gerechtigkeit ist allen Sünden zu stark."

 

Das Wissen um diesen „fröhlichen Tausch“ ist die Grundlage jeder gelingender Beziehung in Ehe und Familie. Der christliche Glaube setzt dieses Wissen um, indem er sich an diese Verbundenheit zwischen ihm und Jesus Christus erinnert. Diese Erinnerung verändert das Denken und das menschliche Herz. Denn das Wort Gottes und seine Botschaft ist eine verändernde Kraft. So kann es dann sein, dass meine Frau Annerös und ich uns manchmal gegenseitig fragen, ob dies nicht gerade ein Feigenblatt sei, wenn wir in das alte Verhaltensmuster des „sich selber rechtfertigen“ geraten! Dies wird dann meistens mit einem Schmunzeln quittiert und es fällt zunehmend leichter, zu den eigenen Fehlern zu stehen und somit die Rechtfertigung in Jesus anzunehmen, statt dass wir das selber mit Feigenblätter tun müssen und somit die Beziehungen unnötig belasten! 

Literatur:

  • Luther, Martin: Von der Freiheit eines Christenmenschen (1520)
  • Sibbes, Richard (2012): Die von Herzen kommende Demut. 3L Verlag
  • Edward T. Welch (2003): Befreit leben - Von Menschenfurcht zu Gottesfurcht. 3L Verlag