Dankbarkeit als Waffe gegen die Versuchung

Scott Hubbard

Die geistliche Kraft der Dankbarkeit

Niemand hatte je eine ungewöhnlichere Gruppe von Soldaten gesehen. Oder von so etwas nur schon gehört: Als die Männer sich langsam auf die Frontlinie zubewegten, glitzerte keine Rüstung im Sonnenlicht, kein Kriegsgeschrei durchdrang die Luft. Vielmehr zierten farbenfrohe Gewänder die Schultern dieser Soldaten, die mit nichts als einem Lied bewaffnet waren. Und im Zentrum des Liedes stand ein Wort, das stark verfrüht zu sein schien: «Dankt.»

 

«Danket dem Herrn,

denn seine Güte währet ewiglich!»

2. Chronik 20,21

 

So sang die Vorhut des Heeres von König Joschafat; so zogen seine ersten Männer in den Krieg. Vielleicht schöpften ihre sicherlich verwirrten Feinde in diesem Augenblick etwas Mut und dachten, die Krieger Judas hätten den Verstand verloren. Doch wie die nächsten Minuten zeigen sollten, erwies sich das Dankeslied der Soldaten mächtiger als jedes Schwert. Denn «als sie anfingen zu singen und zu loben, legte der Herr einen Hinterhalt gegen die Männer von Ammon, Moab und dem Gebirge Seir, die gegen Juda gekommen waren, so dass sie aufgerieben wurden.» 2. Chronik 20,22

 

Judas Feinde wurden durch Gesang vertrieben, durch den Lobpreis besiegt. Und der erste Klang, der die spannungsgeladene Luft des Krieges erfüllte, war dieses überraschende Wort: «Dankt!» So mancher Krieg wird heute mit demselben Wort gewonnen, auch wenn sich unsere Feinde verändert haben. Manch eine Sünde wird erschlagen, manch eine Lüge erdolcht, und manch ein Teufel flieht beim Klang dieser Waffe namens «Danke».

Die Waffe namens «Danke»

In der Heiligen Schrift wird oft erst nach der Befreiung gedankt – nachdem Gott das Gebet erhört, die Rettung gebracht und den Feind zertreten hat. Aber nebst den vielen Beispielen für die Danksagung nach der Befreiung finden wir auch mehrere bemerkenswerte Beispiele dafür, dass sie dem heiligen Gott dankten, bevor die Schlacht begann – als Kriegswaffe.

 

Neben dem erwähnten Ereignis aus Joschafats Zeiten erinnern wir uns auch daran, was Daniel angesichts des krankhaften Dekrets von König Darius tat: «Wer dreissig Tage lang zu irgendeinem Gott oder Menschen fleht, ausser zu dir, o König, der soll in die Löwengrube geworfen werden» (Daniel 6,8). Daniel wollte und konnte nicht einen Monat lang ohne Gebet auskommen, geschweige denn ein Geschöpf aus Staub anflehen. Also «kniete er dreimal am Tag nieder und betete, wie er es zuvor getan hatte» (Daniel 6,11).

 

An Daniels Stelle hätte ich in meinen Gebeten zweifellos gefleht und aufrichtig um Befreiung gebeten. Daniel aber tat mehr: Er «dankte vor seinem Gott» (Daniel 6,11). Mögen Könige noch so sehr toben und Löwen noch so sehr brüllen – man wird Daniel immer wieder hören, wie er seinem Gott «Danke» sagt. Und mit dieser Waffe brachte er die Angst zum Schweigen, verkündete er Gottes Treue und vertraute so die ganze schreckliche Nacht hindurch auf seinen Gott.

 

Aber das Haupt aller Soldaten der Dankbarkeit ist unser Herr Jesus selbst, der seinem Vater dankte, bevor die Viertausend gespeist wurden (Markus 8,6), bevor Lazarus seine Grabtücher abstreifte (Johannes 11,41) und sogar vor seinem eigenen Verrat. «Und er nahm den Kelch, dankte und gab ihnen denselben» (Matthäus 26,27). Der Gründonnerstag hörte nicht nur die gequälten Gebete von Gethsemane; er hörte auch die überwältigenden Klänge der Dankbarkeit. Und zum Teil durch dieses «Danke» sah Jesus deutlicher die Freude, die vor ihm lag, «an jenem Tag, an dem ich mit euch im Reich meines Vaters neu trinken werde» (Matthäus 26,29), und er fand Kraft, über das Grab hinaus zu vertrauen.

 

Unter Gott kann die Danksagung für uns zu einer Armee werden, die vorwärts marschiert und Gottes unerschütterliche Liebe gegen die Horden des Unglaubens verkündet. Sie kann nicht nur der erhobene Kelch nach der Schlacht sein, sondern auch das im Voraus gezückte Schwert.

Segnungen zählen, Sünden töten

Betrachten Sie nun Ihr eigenes Leben. Sie sind kein Soldat, der in die Schlacht zieht, kein Daniel, der der Löwengrube gegenübersteht, kein Erlöser, der von der Dunkelheit verschlungen wird. Aber in Christus haben Sie viele starke und scharfsinnige Feinde. Doch die Dankbarkeit Gott gegenüber ist eines Ihrer schärfsten Schwerter.

 

Nehmen Sie die Sorge. Wie wehren Sie eine aufkommende Angst ab und erfahren den Frieden, der alles Verständnis übersteigt? Wie wird Ihr umkämpfter Geist von den Kräften der Gnade umstellt? Nicht nur, indem Sie «Ihre Bitten Gott kundtun», sondern auch, indem Sie dies «mit Danksagung» tun (Philipper 4,6-7). «Vater, obwohl die Sorgen so schwer auf mir lasten, danke ich dir. Du hast deine Treue schon so oft bewiesen; du wirst sie auch jetzt wieder beweisen.»

 

Oder nehmen Sie die sexuelle Versuchung. Wie kann man in seinem Herzen eine Atmosphäre schaffen, die die Lust im Keim erstickt? Nicht nur, indem man «Unreinheit», «törichtes Gerede» und «grobe Scherze» aus Mund und Geist verbannt, und nicht nur, indem man sich daran erinnert, dass «kein Unzüchtiger Erbe im Reich Christi und Gottes hat», sondern auch, indem man seine Seele mit dem Duft der Dankbarkeit erfüllt. Anstelle der sexuellen Sünde, so sagt Paulus, «soll Dankbarkeit herrschen» (Epheser 5,4-5). Denn die Lust kann nicht in einem von Dankbarkeit erfüllten Herzen überleben, einem Herzen, das Gott dankbar als seinen Schatz kennt.

 

Oder nehmen Sie die Bitterkeit. Wie können Sie «den Frieden Christi in Ihrem Herzen walten lassen», wenn jemand in Ihrer Gemeinschaft Sie verärgert (Kolosser 3,15)? Wie können Sie vergeben und nachsichtig sein, anstatt zuzulassen, dass der Zorn Ihre Liebe tötet – oder die Bitterkeit sie abkühlt (Kolosser 3,13-14)? Unter anderem, indem wir das Gebot befolgen, «dankbar zu sein» (Kolosser 3,15). Wenn wir Gott aufrichtig für seine Barmherzigkeit in Christus danken, wenn wir dankbar der Güte nachspüren, die unsere Sünden bedeckt, dann erscheint ein weiterer Tag der Liebe wieder möglich.

 

Wir reden hier nicht über ein vages und banales, kreuzstichartiges und klischeehaftes «Zähle deine Segnungen». Wir reden über Krieg. Danksagung ist ein kriegerischer Akt. Wir zählen unsere Segnungen, um unsere Sünden zu töten.

Beginnen und überfliessen

Die Gewohnheit der Dankbarkeit ist jedoch keineswegs leicht zu erlernen – vor allem, wenn die Versuchung gross ist. Es ist viel einfacher, die Sorgen einzulassen, den Begierden nachzugeben und der Bitterkeit Tür und Tor zu öffnen, als mutig die Fahne der Dankbarkeit zu hissen. Und das ist verständlich. Wenn Paulus sich in das verdrehte Zentrum unserer Sünde begibt, findet er dort eine uralte Undankbarkeit: «Obwohl sie Gott kannten, haben sie ihn nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt, sondern sie sind in ihrem Denken verstockt und ihr törichtes Herz ist verfinstert worden» (Römer 1,21). Die Sünde sagt niemals «Danke» - nicht aufrichtig, nicht von Herzen.

 

Wie können nun Menschen, die von Natur aus undankbar sind, dennoch die Waffe der Danksagung einsetzen? Wir könnten einen zweiteiligen Plan in Erwägung ziehen: beginnen und überfliessen.

 

Beginnen

Wir wachsen in der Danksagung, indem wir unsere Gebete mit Dankbarkeit und Lobpreis beginnen. Wir könnten also beschliessen, regelmässig «Danke» zu sagen, bevor wir «Hilf mir» sagen. Bevor wir die drückendsten Lasten aussprechen, könnten wir innehalten, uns erinnern und einige Zeit damit verbringen, über Gottes vergangene Treue und seine gegenwärtige Hilfe nachzusinnen.

Eine solche Praxis birgt natürlich Gefahren in sich. Denn getrennt von dem, was John Piper «Dankgefühl» nennt, hat Danksagung keinen Wert. Die Gewohnheit, Gott aus einem undankbaren Herzen heraus zu «danken», rechtfertigt den Tadel Jesu: «Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, aber sein Herz ist fern von mir» (Matthäus 15,8). In der Tat beginnt das vielleicht verwerflichste Gebet in den Evangelien mit «Danke» (Lukas 18,11-12).

 

Gleichzeitig gibt uns die Heilige Schrift die Rechtfertigung, mit dem Danken zu beginnen. Sie gibt uns auch die Hoffnung, dass eine solche Praxis nicht nur die Worte, sondern auch das Gefühl in unseren Herzen nähren kann. Die alten Leviten «standen jeden Morgen auf und dankten und lobten den Herrn, und ebenso am Abend» (1. Chronik 23,30). Unabhängig von den Umständen schmückten die Leviten jeden Tag die Morgendämmerung mit Danksagung und beträufelten die Dunkelheit mit Dankbarkeit.

«Danksagung ist eine Kriegshandlung. Wir zählen unsere Segnungen auf, um unsere Sünden zu töten.»

Im Neuen Testament fordert Paulus uns auf, «in allen Umständen zu danken» (1. Thessalonicher 5,18) – ja, Gott «allezeit und für alles» zu danken (Epheser 5,20). Solche Gebote bedeuten mehr als blosse Spontaneität. Der Entschluss, Gott «allezeit» zu danken, kann uns dazu bringen, uns an viele Gründe zu erinnern, für die wir dankbar sein können. Und das Erinnern ist wie ein Netz, das in die Gewässer des Herzens geworfen wird und oft neue Gefühle einfängt.

 

Wenn Sie also mit der Danksagung beginnen, erinnern Sie sich an besondere Antworten auf vergangene Gebete. Erinnern Sie sich an die Gaben, die Gott so grosszügig über Sie ausgestreut hat. Denken Sie daran, wie viel Sie haben, was Sie nicht verdienen – und wie wenig Sie haben, was Sie verdienen. Erinnern Sie sich an den Hauptgrund für Dankbarkeit, der im Alten Testament genannt wird: «denn er ist freundlich; denn seine Gnade währt ewig!» (1. Chronik 16,34.41). Und dann verfolgen Sie diese Güte und Liebe in der Gestalt ihres sterbenden Erlösers, ihres auferstandenen Herrn, ihres aufgefahrenen Königs und ihres kommenden Bräutigams.

 

Und indem wir dies tun, mag es dazu kommen, dass der Herr vor unseren Feinden – unseren eigenen Sorgen, unseren Begierden, unserer Bitterkeit – einen Tisch deckt und unseren Kelch mit Dankbarkeit überfliessen lässt.

 

Überfliessen

Wenn wir regelmässig mit der Danksagung beginnen, werden wir vielleicht allmählich mehr tun: nämlich in der Danksagung überfliessen. Paulus nennt ein solches Überfliessen eine der zentralen Säulen des christlichen Alltagslebens:

 

«Wie ihr Christus Jesus, den Herrn, angenommen habt, so wandelt in ihm, verwurzelt und erbaut in ihm und gegründet im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und seid reich an Danksagung.» Kolosser 2,6-7

 

Das Überfliessen in der Danksagung ist keine eigenständige Praxis. Es ist kein Gebetsschritt auf dem Weg zur Bitte. Das Überfliessen in der Danksagung ist ein Lebensstil. Wenn wir reichlich danken, steigt die Dankbarkeit aus unserem Herzen auf, wie unser Körper aus dem Bett aufsteht. Wir sagen ungeplant und unvorbereitet «Danke», wenn unsere Augen die roten, fallenden Blätter oder den frostigen Morgentau sehen. Wir neigen uns vor den Mahlzeiten – nicht nur aus Gewohnheit, sondern aus einem lebendigen Impuls des Herzens heraus.

 

Und wenn die Mächte der Versuchung anrücken, führen wir die Danksagung wie eine gut eingesetzte und griffbereite Waffe. Mit den Sängern Joschafats ziehen wir mit Gesang in die Schlacht. Wir singen «Ich danke dir», und das Schwert fährt nieder. Wir rufen «Ich vertraue dir», und die Sünde liegt erschlagen da.

Quelle: https://www.desiringgod.org/articles/give-thanks-against-temptation (Artikel vom 23. November 2023)

Scott Hubbard is an editor for Desiring God, a pastor at All Peoples Church, and a graduate of Bethlehem College & Seminary. He and his wife, Bethany, live with their two sons in Minneapolis.

Übersetzt mit freundlicher Genehmigung.